Agon: Vom Wettstreit in der griechischen Kultur

Agon: Vom Wettstreit in der griechischen Kultur
Agon: Vom Wettstreit in der griechischen Kultur
 
In der »Ilias« (6, 208) berichtet Glaukos, ein Held griechischer Abstammung, der auf Trojas Seite kämpft, sein Vater habe ihm aufgetragen, »immer der beste zu sein und andere zu übertreffen«. Dies ist überhaupt die Maxime der Helden in der »Ilias«. Freilich weist der Iliasdichter auch auf die leidvollen Folgen hin, die der Zorn Achills darüber, dass Agamemnon seinen Vorrang missachtete, über viele Helden brachte. Zum Agonalen gehören die Absprachen im Krieg, dass der Kampf zweier Vorkämpfer den Streit entscheiden sollte; dem agonalen Prinzip entspricht auch die Vereinbarung der Kämpfer im Lelantischen Krieg (Anfang des 7. Jahrhunderts v. Chr.) zwischen Chalkis und Eretria auf Euböa, keine Fernwaffen einzusetzen. Pindar von Theben bewertet im fünften isthmischen Epinikion einen Sieg im Pankration, einem sportlichen Zweikampf mit Elementen des Faust- und des Ringkampfs, ebenso hoch wie den siegreichen Kampf gegen die Perser bei Salamis. Von sportlichen Wettkämpfen bei den Leichenspielen zu Ehren des Patroklos hatte schon der 23. Gesang der »Ilias« berichtet. Für die Griechen war, wie sich zeigt, der »Agon« - das Wort bezeichnet den Kampf in der Schlacht sowie den sportlichen und musischen Wettstreit - stärker als bei anderen Völkern ein Strukturelement ihres Lebens.
 
Der Sieg im sportlichen Wettkampf bei den großen griechischen Festen in Olympia, Delphi, auf dem Isthmos von Korinth und in Nemea, dazu bei manchen kleineren, wurde vor allem vom griechischen Adel und den großen Herren wie Hieron II. von Syrakus heiß erstrebt. In ihren Heimatstädten wurden den Siegern große Ehrungen zuteil; denn der Glanz des Sieges fiel auch auf die Städte; so waren auch diese in den Wettkampf einbezogen. Dementsprechend konnte der Adlige Alkibiades im demokratischen Athen seinen Sieg im Wagenrennen als eine patriotische Tat hinstellen. Bei den sportlichen Wettkämpfen waren vor allem folgende Disziplinen vertreten: Weitsprung, Wettlauf, Diskuswurf, Speerwurf, Ringen, die zum Fünfkampf zählten, aber auch als Einzeldisziplinen Wettläufe über verschiedene Distanzen, darunter Langlauf und Lauf in Waffen, Ring-, Faustkampf und Pankration (eine Kombination aus beidem). Finanziell aufwendiger waren Rennpferd und Rennwagen, besonders das Viergespann; sie stellten eine Möglichkeit dar, Reichtum zu demonstrieren. Die Siege wurden, wie schon erwähnt, vor allem von Simonides, Pindar und Bakchylides mit prächtigen Chorliedern, den Epinikien, gefeiert. Neben den athletischen gab es auch musische Wettkämpfe. In diesem Zusammenhang sind die attischen Tragödien- und Komödienagone zu sehen. Als literarisches Thema kennen wir das Wettdichten Homers und Hesiods, in der hellenistischen Hirtendichtung dichten und singen Hirten um den Sieg. Agonales Denken findet sich nicht minder im größeren kulturellen und politischen Bereich: Sieben Städte streiten sich darum, die Heimatstadt Homers zu sein. Die Stadt Athen verstand sich, wie besonders der Rede des Perikles zu Ehren der Gefallenen (bei Thukydides) und Versen des Euripides zu entnehmen ist, als die im kulturellen Wettstreit überlegene griechische Stadt; sie konnte deshalb das »Hellas von Hellas« genannt werden. Herodot sieht in seiner Geschichtsdarstellung die siegreiche Ausdehnung des Perserreiches als einen Beweis der überlegenen persischen Tüchtigkeit über das jeweils unterworfene Volk, bis sie dann an den Griechen scheitert.
 
Prof. Dr. Hans Armin Gärtner, Dr. Helga Gärtner

Universal-Lexikon. 2012.

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